Das Recht auf Eigentum ‒ seine Begründung und seine Grenzen

Kurzbeschreibung des Inhalts und der Ziele der Tagung

1. Das Thema und seine gesellschaftlich-politische Bedeutung

Die Art und Weise, wie die Eigentumsverhältnisse in einem Staat rechtlich geregelt sind, hat einen erheblichen Einfluss auf das gesellschaftliche Zusammenleben und das Leben der Einzelnen. Beispielsweise ist privatwirtschaftliches Handeln überhaupt nur dann möglich, wenn es Privateigentum an Produktionsmitteln gibt. Andererseits kann ein Staat nur dann, wenn er selbst Eigentümer ist, Güter direkt ohne den Umweg über Steuern oder Sozialleistungen verteilen. Die Wirtschaftsweise, die Handlungsmöglichkeiten der Einzelnen und des Staates sowie die Verteilung bestimmter Güter  werden also maßgeblich durch die rechtliche Eigentumsordnung beeinflusst. Schon aus diesem Grund kommt der Frage, ob und ggf. wie sich das Recht auf privates oder staatliches Eigentum begründen lässt, eine enorme gesellschaftliche und politische Bedeutung zu.
Bei der Frage, wie sich das Recht auf privates, kollektives oder staatliches Eigentum begründen lässt, handelt es sich um ein genuin philosophisches Problem. Wenn man sich den philosophischen Debatten über das Recht auf Eigentum zuwendet, wird man feststellen, dass sowohl die einflussreichsten Theorien des Rechts auf Eigentum als auch die bekanntesten Einwände gegen das Recht auf Eigentum aus der Geschichte der Philosophie stammen, genauer gesagt aus der Zeit vom Beginn des 17. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Zu nennen sind hier auf der einen Seite John Locke, Immanuel Kant und G. W. F. Hegel als wichtige Vertreter der Eigentumstheorie sowie Jean-Jacques Rousseau und Karl Marx als bedeutende Kritiker des Rechts auf Privateigentum.
In der Gegenwart ist das Interesse der Philosophie am Problem des Eigentums hingegen außerordentlich gering. Möglicherweise hat der Zerfall der sogenannten kommunistischen Staaten dazu beigetragen, dass die Wirtschaftsweise, die auf dem Recht auf Privateigentum beruht, als alternativlos gilt. Allerdings wäre es verfehlt, daraus zu schlussfolgern, dass das Privateigentum, insbesondere das Eigentum an Produktionsmitteln, deshalb keiner Begründung bedürfe. Es versteht sich durchaus nicht von selbst, dass einzelne Menschen oder Gruppen von Menschen Fabriken, Mietshäuser, Wälder oder Land besitzen dürfen. Selbst wenn es grundsätzlich moralisch vertretbar ist, dass Menschen bestimmte Dinge besitzen, ist es nicht selbstverständlich, dass alle Arten von Dingen Eigentum sein können.
Einige öffentliche Debatten, die vor der Corona-Pandemie in Deutschland geführt wurden, haben gezeigt, dass die auf dem Recht auf Privateigentum beruhende Wirtschaftsweise Probleme hervorbringt, die ein erneutes grundsätzliches Nachdenken über das Problem des Eigentums erforderlich machen. Zu nennen sind hier beispielsweise der in Berlin vorgebrachte Vorschlag, die Deutsche Wohnen zu enteignen, um Mietshäuser wieder in die öffentliche Hand zu überführen, oder der Vorschlag des Bundesvoristzenden der FDP, den Artikel 15 unseres Grundgesetzes, der die Verstaatlichung von Eigentum zulässt, zu streichen. Auch der von einem sozialdemokratischen Politiker geäußerte Gedanke, dass Großunternehmen im Interesse des Gemeinwohls verstaatlicht werden könnten, gehört hierher. Diese Beispiele zeigen, dass das Recht auf Eigentum, und zwar vor allem das Recht auf Privateigentum in der Gegenwart wieder von vielen Menschen als etwas Begründungsbedürftiges angesehen wird.

2. Die Frage nach dem Recht auf Eigentum als blinder Fleck der Praktischen Philosophie der Gegenwart

Angesichts der gesellschaftlichen und politischen Relevanz und Brisanz des Themas dürfte man erwarten, dass in der Philosophie der Gegenwart eine intensive Debatte über die Frage geführt wird, wie sich das Recht auf Eigentum begründen lässt und wodurch es möglicherweise begrenzt wird. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Die zeitgenössische Philosophie hat das Thema seit Jahrzehnten sträflich vernachlässigt. Beim Großteil der vergleichsweise wenigen Publikationen zum Recht auf Eigentum handelt es sich um philosophiehistorische Abhandlungen, d. h. um Veröffentlichungen, in denen untersucht wird, was Autoren in der Vergangenheit über das Recht auf Eigentum gesagt haben. Die wenigen systematischen Untersuchungen zu diesem Thema, die in den letzten 40 Jahren erschienen sind, lassen sich an einer Hand abzählen. Sie stammen alle aus dem angelsächsischen Raum. Im deutschsprachigen Raum liegen seit Jahrzehnten keine systematischen Untersuchungen zum Recht auf Eigentum vor.
Bemerkenswert ist überdies, dass man selbst dort, wo es nahe liegt, einmal grundsätzlich über das Recht auf Eigentum nachzudenken, nirgendwo auf eine prinzipielle Erörterung des Themas stößt. Das gilt für John Rawls’ bahnbrechendes Werk Eine Theorie der Gerechtigkeit ebenso wie für die Schriften bekannter Egalitaristen, wie etwa Ronald Dworkin, Thomas Nagel oder hierzulande Stefan Gosepath. In der Regel wird sowohl von Egalitaristen als auch von Nonegalitaristen ohne Begründung vorausgesetzt, dass es das Recht auf Privateigentum geben sollte.
Da nun aber das Problem der Verteilungsgerechtigkeit gar nicht grundsätzlich behandelt werden kann, ohne dabei auf das Recht auf Eigentum einzugehen, sollten die Vertreter der verschiedenen Auffassungen von Gerechtigkeit etwas zum Problem des Rechts auf Eigentum sagen. Egalitaristinnen und Egalitaristen sollten sich ebenso zu der Frage positionieren, ob es privates Eigentum geben darf und ob es ggf. begrenzt werden sollte, wie Nonegalitaristen, Utilitaristinnen oder Libertarier. In der Regel tun sie das aber nicht.
Man kann somit konstatieren, dass zwischen dem Wiedererwachen des öffentlichen Interesses am Problem des Eigentums und der philosophischen Vernachlässigung dieses Themas eine bedauernswerte Diskrepanz besteht. Wenn die Philosophie in Zukunft ernst zu nehmende Beiträge zur öffentlichen Debatte über das Recht auf Eigentum und seine Grenzen beisteuern will, dann muss zunächst geklärt werden, welche Positionen zum Recht auf Eigentum überhaupt vertreten werden können und worin deren Stärken und Schwächen bestehen.

3. Die Themen der Tagung

Im Mittelpunkt der Tagung stehen folgende Fragen:
    • Wie wurde das Recht auf Eigentum in der Geschichte der Philosophie begründet? Welche Stärken und Schwächen weisen die klassischen Eigentumstheorien auf?
    • Welche Einwände wurden in der Geschichte gegen das Recht auf Privateigentum vorgebracht, und wie überzeugend sind diese?
    • Wie ist das Recht auf Eigentum aus der Perspektive der einflussreichsten zeitgenössischen Theorien der sozialen Gerechtigkeit zu beurteilen? Was haben Egalitaristen, Libertarier, Utilitaristinnen sowie Vertreterinnnen der Kritischen Theorie und des Feminismus zum Recht auf Eigentum zu sagen?
    • Muss der Begriff des Eigentums unter den Bedingungen der Digitalisierung modifiziert werden?
    • Lässt sich ein Recht auf geistiges Eigentum begründen?
    • Ist es moralisch erlaubt oder gar geboten, das Recht auf Eigentum zu beschränken? Wenn ja, aus welchen Gründen?

4. Die Ziele der Tagung

Mit der Ausrichtung der Tagung verfolgen wir verschiedene Ziele. In erster Linie streben wir an,
    • Expertinnen und Experten aus dem deutschsprachigen Raum zusammenzuführen, um ein Forum für einen Gedankenaustausch über das Recht auf Eigentum zu bieten
    • einen Überblick über die wichtigsten Positionen zum Recht auf Eigentum aus der Geschichte und der Gegenwart zu verschaffen
    • durch die Herausgabe eines Sammelbandes mit den Tagungsbeiträgen die philosophische Debatte über das Recht auf Eigentum im deutschsprachigen Raum überhaupt wieder in Gang zu setzen
Der geplante Sammelband dürfte aufgrund der systematischen Anlage unserer Tagung auch für als Grundlage für Universitätsseminare oder den Schulunterricht an Gymnasien geeignet sein.
Darüber hinaus soll die Tagung dazu dienen,
    • die Diskussion über das Recht auf Eigentum in einen Zusammenhang mit anderen philosophischen Debatten zu bringen, insbesondere mit den Diskussionen über Verteilungsgerechtigkeit,   die Frage nach gerechten Steuern und das moralische Problem des Reichtums
    • die Frage zu stellen, ob die fortschreitende Digitalisierung eine Erweiterung oder Modifizierung des Begriffs des Eigentums erforderlich macht und ob elektronische Gegenstände im gleichen Sinne Eigentum sein können und sollen wie materielle Gegenstände.

5. Worin besteht das Originelle der Tagung?

Die von uns geplante Tagung ist in mindestens zweierlei Hinsicht originell. Erstens bringen wir prominente Vertreter einiger wichtiger ethischer und sozialphilosophischer Strömungen der Gegenwart dazu, ihre Position zum Recht auf Eigentum, die bisher bestenfalls implizit formuliert wurde, explizit zu formulieren und zur Diskussion zu stellen. Das gilt für den Egalitarismus, den Libertarismus, den Utilitarismus, die neuere Kritische Theorie und den Feminismus. Bisher haben die Anhänger*innen dieser Richtungen sich kaum ausdrücklich zum Problem des Eigentums geäußert. Die Tagung soll das ändern.
Zweitens wollen wir eine Verbindung herstellen zwischen der grundsätzlichen Diskussion über das Recht auf Eigentum und Anwendungsfragen, indem wir die Debatten über Steuergerechtigkeit, Reichtum und digitales Eigentum einbeziehen. Dadurch soll einerseits die spezielle Diskussion über das Recht auf Eigentum wieder in den allgemeineren Kontext der Verteilungsgerechtigkeit gestellt werden. Andererseits soll gefragt werden, ob und inwiefern sich eine Klärung des Begriffs des Eigentums und der Frage nach dem Recht auf Eigentum für die Debatte über Gerechtigkeit fruchtbar machen lässt.

6. Liste der Vortragenden in alphabetischer Reihenfolge

    • Andreas Cassee
    • Stefan Gosepath
    • Rahel Jaeggi
    • Heiner Klemme
    • Bernd Ludwig
    • Kirsten Meyer
    • Amir Mohseni
    • Katharina Naumann
    • Christian Neuhäuser
    • Michaela Kirchhofer-Rehm
    • Christoph Schmidt-Petri
    • Reinold Schmücker
    • Uwe Steinhoff

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