Gibt es eine Philosophie des Rechtsextremismus? (Online-Workshop, 28./29.11.2024)
Der gegenwärtige Rechtsextremismus ist die größte Bedrohung für unsere demokratische Ordnung, aber auffallend kein Thema für die Philosophie. Sicher: Es gibt eine philosophische Auseinandersetzung mit der Rechten. Diese bleibt aber meist marginal und hinter dem Diskussionsniveau in anderen Fächern zurück. Man traut dem Rechtsextremismus – vielleicht mit Recht – kein “Denken” zu und schon gar keins, das eine philosophische Kritik verdient. Was die extreme Rechte “Denken” nennt, erscheint eher als strategischer Versuch, der eigenen Menschenfeindlichkeit ein pseudophilosophisches Fundament zu verschaffen. In der Philosophie werden allenfalls der historische Nationalsozialismus und Faschismus thematisch und im besten Fall Ausgangspunkt für einige in die Gegenwart fortgeschriebene Andeutungen. Die Philosophie sieht sich anscheinend nicht mehr zuständig für die Kritik gegenwärtiger Entwicklungen im deutschen sowie im internationalen Kontext, und man überlässt die entsprechenden Zeit- und Gegenwartsdiagnosen gerne der Soziologie und angrenzenden Fächern. Verbindungslinien der Philosophie selbst zum Rechtsextremismus übersieht man häufig, historisiert sie oder behandelt sie als Einzelfälle: Bemerkungen, die eigentlich ein Fremdkörper in einem Werk sind; oder Beiträge von anderen Philosoph*innen, über die man allenfalls die Stirn runzelt. Rechtsextremismus scheint in jeder Hinsicht aphilosophisch und als Philosoph*in hält man besser Abstand zu einem scheinbar weder satisfaktionsfähigen noch karriereförderlichen Untersuchungsgegenstand.
In unserem Forschungsvorhaben MISRIK haben wir Kommunikationsstrategien der “Neuen Rechten” untersucht und sind dabei immer wieder auf den Term “Philosophie” gestoßen: Die Autor*innen der rechten Szene nehmen für sich die Philosophie in Anspruch, beziehen sich auf klassische und gegenwärtige Texte der Philosophie, aber auch auf randständige Autor*innen, die die “woke” “universitäre Philosophie” an den Rand gedrängt und vergessen habe (tatsächlich finden sich weit überwiegend bekannte Namen). Sie berufen sich auf Schriften der Gegenaufklärung sowie auf kulturpessimistische und rechtskonservative Denker*innen, die angeblich zu einer ganz eigenen Philosophietradition gehörten. Sie behaupten, selbst philosophische Beiträge hervorzubringen, ohne allerdings “im Fach” wahrnehmbar zu sein oder wahrgenommen werden zu wollen. Auffallend viele haben Philosophie studiert, distanzieren sich aber meist von der “universitären Philosophie”. Sie versuchen dennoch, Studierende zu erreichen: Sie stellen Literaturlisten zusammen, fördern eigene Lesezirkel und bieten (qualitativ meist fragwürdige) Online-Seminare an. Das alles zu verwerfen und vorschnell als “Cargo-Cult-” oder Pseudophilosophie abzutun, erscheint zu einfach: Es geht dort – sicher überwiegend fern von etablierten Philosophie-Instituten – etwas vor sich, das unsere kritische Aufmerksamkeit verdient.
Wir suchen kritische, empirisch informierte Beiträge – auf Deutsch oder Englisch – für einen philosophischen Workshop (online) zum gegenwärtigen Rechtsextremismus in seiner ganzen Breite. Themen können unter anderem sein:
Wie bedient sich die gegenwärtige extreme Rechte der Philosophie? Auf welche philosophischen Themen, Disziplinen und Schulen wird Bezug genommen? Ist das Verhältnis einer sich intellektuell inszenierenden “neuen Rechten” zur Philosophie strategisch? Werden nur einzelne Versatzstücke oder Methoden übernommen – oder gibt es gar eine “rechte Philosophie”? Wie können wir uns mit ihr auseinandersetzen: Entlarven wir sie und weisen sie zurück (wie?) oder hat sie uns etwa etwas zu sagen, auf das wir kritisch reflektieren können und sollten?
Welche philosophie- und/oder geistesgeschichtlichen Berührungspunkte zur extremen Rechten – auch jenseits des “Falls Heidegger” – sind heute noch für uns relevant? Wie sollen wir mit ihnen umgehen?
Gibt es systematische Bezugspunkte zwischen Rechtsextremismus und Philosophie(n), die uns (noch) nicht bewusst sind? Ist der Akzelerationismus vielleicht so eine “rechts offene” Denkbewegung?
Mit welchem Vokabular sollen wir das Phänomen beschreiben? Ist “Rechtsextremismus” geeignet, oder müssen wir hier weiter differenzieren? Haben wir es mit (einem) Faschismus zu tun? Kann uns die Faschismustheorie hier noch weiterhelfen? Wie müssen wir sie aktualisieren?
Hilft uns die Philosophie, die Reflexionen der vergleichenden Faschismusforschung und -theorie einzuordnen und etwa Fragen des Verhältnisses von “alter” und “neuer” Rechter zu beantworten?
Wie könnte die extreme Rechte Thema im Philosophiestudium werden?
Welche Rolle spielt die Philosophie für rechte Influencer*innen?
Philosophische Auseinandersetzungen mit historischen Phänomenen interessieren uns insoweit, wie sie eng an die gegenwärtigen Phänomene des Rechtsextremismus herangeführt werden. Wir wünschen uns von den Beiträgen, dass sie auf den gegenwärtigen Diskussionsstand der deutschen und/oder internationalen Rechtsextremismus- und Faschismusforschung Bezug nehmen. Wir wünschen uns außerdem, dass die Beiträge auch aufmerksam für Entwicklungen in anderen Ländern sind – insbesondere mit Blick auf die zunehmende internationale Vernetzung des Rechtsextremismus.
Themenvorschläge erbitten wir in Form eines kurzen Exposés (maximal 600-700 Wörter plus Literaturangaben, als PDF) bis zum 18. September 2024 an kai.denker@tu-darmstadt.de. Bitte verwenden Sie die zur Verfügung gestellte Vorlage. Über die Annahme oder Ablehnung der Themenvorschläge informieren wir bis zum 6. Oktober 2024. Der Workshop wird am 28. und 29. November 2024 online (via Zoom) durchgeführt. Als Format haben wir Vorträge im Umfang von 20 Minuten mit 25 Minuten Diskussion vorgesehen. Für Rückfragen stehen wir gerne per E-Mail zur Verfügung.
Weitere Informationen und Vorlagen unter: https://www.philosophie.tu-darmstadt.de/misrik/veranstaltungen/ws_philosophie_des_rechtsextremismus/index.de.jsp
Informationen
Beginn
28.11.2024
Ende
29.11.2024
Ort
Online
Veranstalter
TU Darmstadt
E-Mail Veranstalter
kai.denker@tu-darmstadt.de