Goethe and Philosophy / Goethe und die Philosophie

Deadline: 31.12.2026

Goethe and Philosophy

(English version below)

Call for Papers für den Sammelband:

Goethe und die Philosophie – historische und systematische Analysen, hrsg. von Moritz R. Pretzsch und Jan Kerkmann, 2026.

„Goethe und die Philosophie“ bildet ein intrikates und spannungsreiches Verhältnis. War er doch schon früh der Meinung, „eine abgesonderte Philosophie sei nicht nötig, indem sie schon in der Religion und Poesie vollkommen enthalten sei“ (Dichtung und Wahrheit; WA I, 27, S. 11), hatte er sich doch von der Universitäts-, Schul- oder Kathederphilosophie „stets immer frei erhalten“ und war sein Standpunkt der „des gesunden Menschenverstandes“ (Eckermann, 4.2.1829). Und auch einem abstrakten Denken, das von Praxisbezogenheit und Pragmatismus absieht resp. einen solchen ignoriert, konnte Goethe nur bedauernd eine Exkusation erteilen: „Armer Mensch, an dem der Kopf alles ist!“ (an Herder, Mitte Juli 1772). Freilich, der Umstand, dass Goethe logischen Haarspaltereien und ins Theologische übergreifenden Weltkonstruktionen nicht zu folgen bereit war, hieß wiederum nicht, dass er sich überhaupt nicht mit Philosophie und philosophischen Fragen auseinandersetzte. Im Gegenteil, interessierte er sich genauso für aktuelle Problemstellungen und neue Strömungen im Geistesleben wie für Entwicklungen in anderen Natur- und Geisteswissenschaften. Besonderes Augenmerk schenkte er dabei von Jugend an den fundamentalen Zusammenhängen von Mensch und Natur.

Er rezipierte die hermetische Tradition der Naturmystik, begeisterte sich für den Spinozismus, hatte ein bemerkenswertes Gespür für die Außenseiter der philosophischen Zunft, „die der gelehrte Pöbel theils bewundert, theils verlacht, und beydes weil er sie nicht versteht“ (an Langer, 11.5.1770), spürte den dunklen Gedankengängen Hamanns nach, disputierte mit dem jungen Schopenhauer, korrespondierte mit Lichtenberg und ließ sich auf die neuere Naturphilosophie von Herder und Schelling ein. Selbst den produktiv-kritischen Umgang mit der Philosophie, wie ihn Kant pflegte, wusste Goethe zu schätzen. Die in den 1780er Jahren von Königsberg ausgehende Kritik der herkömmlichen Metaphysik fand in Jena ein wichtiges Zentrum, da hier die Kantianer Reinhold und Schütz lehrten. Goethe hatte im Rahmen seiner amtlichen Tätigkeit auch für die Universität Jena Verantwortung zu tragen und sich im Zuge dessen in die jeweiligen Lehrinhalte einzuarbeiten. Goethe sprach zwar Kant das Verdienst zu, dieser sei der erste Philosoph gewesen, „der ein ordentliches Fundament gelegt“ (Knebel 28.8.1827) habe, zudem konnte er dessen Vernunftkritik einiges abgewinnen, was seine philosophischen Überzeugungen bestätigte, insbesondere die Ablehnung jeglicher Endursachen, die Rettung der Erscheinungen und eine Orientierung auf das menschliche Selbstverhältnis. Und dennoch war Goethe freilich kein schulmäßiger Kantianer, was auch dazu führte, dass es im Austausch mit Schiller, der bekanntlich stark von Kant beeinflusst war, des Öfteren zu Meinungsverschiedenheiten kam.

Mit Fichtes Berufung nach Jena ging die kritische Philosophie ab 1794 immer mehr in eine idealistische, auf das Subjekt gerichtete über, der Goethe im Alter dankte, dass sie ihn auf sich selbst aufmerksam gemacht habe (an Schultz, 18.9.1831). 1799 erhob er jedoch den Vorwurf, der idealistische, auf das Subjekte konzentrierte Zugang sei der falsche Weg, „in sich selbst hinein zu gehen, seinen eignen Geist über seinen Operationen zu ertappen, sich ganz in sich selbst zu verschließen“; eine bessere Erkenntnis der Gegenstände sei dadurch nicht gegeben (Der Sammler und die Seinigen, 2. Brief). Goethe sympathisierte eher mit der Natur und Geist in Einklang bringenden, pantheistisch anmutenden Identitätsphilosophie, wie sie Hegel und Schelling während ihrer Jenaer Jahre 1801–1803 entwickelten. Dass er deren Versuche begrüßte, ließ er in einem Brief an Jacobi wissen: „Wie ich mich zur Philosophie verhalte kannst du leicht auch denken. Wenn sie sich vorzüglich aufs Trennen legt, so kann ich mit ihr nicht zurechte kommen[ ... ]; wenn sie aber vereint, oder vielmehr wenn sie unsere ursprüngliche Empfindung alsseyen wir mit der Natur eins, erhöht, sichert und in ein tiefes, ruhiges Anschauen verwandelt, [ ... ] dann ist sie mir willkommen“ (an Jacobi, 23.11.1801).

Als Hegel und Schelling sich mehr und mehr von der Natur abwandten und den Anspruch ihrer Philosophie dahin verlagerten, mittels Spekulation und Dialektik das Absolute bzw. den Geist – also Gott – auszumachen, distanzierte sich Goethe. Er war überzeugt, „daß mancher dialektisch Kranke im Studium der Natur eine wohltätige Heilung finden könnte“ (Eckermann, 18. 10. 1827). Für Goethe hatte die Philosophie also das große Problem, dass sie die Natur als wichtigsten Gegenstand der Untersuchung weitgehend aus den Augen verlor und sich von ihr entfremdete. Doch er sah noch eine zweite Schwierigkeit: „Philosophie deutet auf die Geheimnisse der Vernunft und sucht sie durchs Wort zu lösen“ (MuR). Dies schafft sie jedoch nur unter Zuhilfenahme „uneigentlicher Ausdrücke und Gleichnisreden“ (Geschichte der Farbenlehre, Intentionelle Farben), was sie wiederum in die Nähe von Poesie und Theologie rückt. Eine Trennung der Disziplinen, wie sie in der Neuzeit unternommen wurde, hielt Goethe dementsprechend noch im Rückblick auf seine Jugend für überflüssig: „An den ältesten Männern und Schulen gefiel mir am besten, daß Poesie, Religion und Philosophie ganz in eins zusammenfielen, und ich behauptete jene meine erste Meinung nur um desto lebhafter, als mir das Buch Hiob, das Hohe Lied und die Sprichwörter Salomonis ebenso gut als die Orphischen und Hesiodischen Gesänge dafür ein gültiges Zeugnis abzulegen schienen“ (DuW, 6. Buch).

Der geplante Sammelband möchte es sich zur Aufgabe machen, Goethes Verhältnis zur Philosophie und seiner Wirkung auf die Philosophie historisch und systematisch zu analysieren. Dabei sollen einerseits zentrale philosophische Einflüsse und Einflussgeber in Goethes Denken und Werk in Augenschein genommen werden, darunter Da Vinci, Spinoza, Leibniz, Hamann, Lichtenberg, Jacobi, Rousseau, Herder, Kant, Hegel, Fichte, Schelling, Schopenhauer u.a. Zudem soll aber auch Goethes Wirkung auf die Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts in den Fokus rücken. Stellvertretend soll hierbei der Goethesche Einfluss auf Nietzsche, Kierkegaard, Stirner, Heidegger, Wittgenstein, Cassirer und Adorno im Zentrum der Untersuchung stehen. Nicht zuletzt verdient die Frage eine besondere Aufmerksamkeit, inwieweit auch die gegenwärtige Philosophie noch heute von Goethes Denken profitieren kann. Wurden in der Geschichte der Philosophie alle Erscheinungsformen der Kultur vor den Richterstuhl der Vernunft gezogen, so macht es doch heute eher umgekehrt den Eindruck, als stünde die Vernunft, insbesondere durch die erschütternden Erfahrungen des letzten Jahrhunderts, nun ihrerseits vor dem Gericht. Noch vor der Kritischen Theorie, Heidegger, Foucault und Nietzsche hat bereits Goethe, mit seinem organischen Verständnis des ganzen Menschen, feinsinnig gegen das aufklärerische Primat der Vernunft opponiert: Für ihn haben „Sinnlichkeit und Vernunft, Einbildungskraft und Verstand, […] eine exakte sinnliche Phantasie“ allesamt die „gleiche[n] Rechte“ (Goethe, Ernst Stiedenroth Psychologie zur Erklärung der Seelenerscheinungen erster Teil. Berlin 1824, 614), liegen auf einer Ebene und bereichern sich gegenseitig.

Abstracts (in deutscher oder englischer Sprache) mit historisch oder systematisch orientierten Beitragsvorschlägen (max. 500 Wörter) können bis zum 31.12.2025 an die folgenden Mail-Adressen gesendet werden:

moritzpretzsch@uni-kassel.de

jan.kerkmann@philosophie.uni-freiburg.de

Die entsprechenden Rückmeldungen für angenommene Beiträge erfolgen bis zum 15.01.2026. Die finalen Fassungen der Beiträge (max. 60.000 Zeichen, inkl. Leerzeichen, Times New Roman, Zeilenabstand 1.5) sollen bis zum 01.07.2026 vorliegen. Der Sammelband wird im Winter 2026 bei einem renommierten englischen Verlag erscheinen, mit dem ein Vertragsabschluss für das Frühjahr 2025 vorgesehen ist.

Englisch:

Call for Papers for the edited volume:

Goethe and Philosophy – Historical and Systematic Analyses

‘Goethe and philosophy’ forms an intricate and tense relationship. He was of the opinion early on that “a separate philosophy is not necessary, since it is already fully contained in religion and poetry” (Dichtung und Wahrheit; WA I, 27, S. 11), and he had “always kept free” from university, school or departmental philosophy, and his point of view was that of “common sense” (Eckermann, 4.2.1829). And Goethe could only regretfully dismiss an abstract thinking that disregards or ignores practical relevance and pragmatism: “Poor man, in whom the head is everything!” (to Herder, mid-July 1772). Of course, the fact that Goethe was not willing to follow logical hair-splitting and theological world constructions did not mean that he did not deal with philosophy and philosophical questions at all. On the contrary, he was just as interested in current issues and new trends in intellectual life as he was in developments in other natural and human sciences. From an early age, he paid particular attention to the fundamental relationships between man and nature.

He absorbed the hermetic tradition of nature mysticism, was enthusiastic about Spinozism, had a remarkable sense for the outsiders of the philosophical guild, ‘whom the learned mob partly admires, partly laughs at, and both because he does not understand them’ (to Langer, 11 May 1770), traced Hamann’s dark train of thought, debated with the young Schopenhauer, corresponded with Lichtenberg and engaged with the more recent natural philosophy of Herder and Schelling. Goethe even gained something from the productive and critical engagement with philosophy that Kant practised. The criticism of traditional metaphysics that originated in Königsberg in the 1780s found an important centre in Jena, where the Kantians Reinhold and Schütz taught. As part of his official duties, Goethe was also responsible for the University of Jena and, in the course of this, had to familiarise himself with the respective teaching content. Goethe did indeed credit Kant with the merit of being the first philosopher ‘to lay a proper foundation’ (Knebel 28 August 1827), and he was also able to gain something from his critique of reason, which confirmed his philosophical convictions, in particular the rejection of any ultimate causes, the rescue of appearances and an orientation towards the human self-relationship. And yet Goethe was certainly no orthodox Kantian, which also led to frequent differences of opinion with Schiller, who was known to be strongly influenced by Kant.

With Fichte’s appointment to Jena in 1794, critical philosophy increasingly turned into an idealistic philosophy directed towards the subject, for which Goethe thanked it in his old age for drawing his attention to himself (to Schultz, 18 September 1831). In 1799, however, he criticised the idealistic, subjective approach as the wrong way to ‘go within oneself, to catch one’s own mind at its operations, to shut oneself up completely within oneself’; this does not provide a better understanding of the objects (Der Sammler und die Seinigen, 2. Brief). Goethe was more sympathetic to the pantheistic-sounding identity philosophy that Hegel and Schelling developed during their years in Jena (1801–1803), which reconciled nature and spirit. In a letter to Jacobi, he expressed his appreciation of their attempts: ‘You can easily guess how I feel about philosophy. If it is mainly concerned with separation, then I cannot get along with it [...]; but if it unites, or rather if it enhances our original perception as weare at one with nature, secures it and transforms it into a deep, calm contemplation, [... ] then it is welcome to me’ (to Jacobi, 23 November 1801).

When Hegel and Schelling increasingly turned away from nature and shifted the claim of their philosophy to identifying the absolute or the spirit – i.e. God – by means of speculation and dialectics, Goethe distanced himself. He was convinced ‘that many a dialectically ill person could find a beneficial cure in the study of nature’ (Eckermann, 18 October 1827). For Goethe, the big problem with philosophy was that it largely lost sight of nature as the most important object of study and became estranged from it. But he saw a second difficulty: ‘Philosophy points to the secrets of reason and seeks to solve them through words’ (MuR). However, it can only do this with the help of ‘unactual expressions and parables’ (History of Colour Theory, Intentionelle Farben), which in turn brings it closer to poetry and theology. Even looking back on his youth, Goethe considered the separation of the disciplines, as undertaken in modern times, to be superfluous: ‘What I liked best about the oldest men and schools was that poetry, religion and philosophy coincided completely in one and I maintained that my first opinion only all the more vividly because the Book of Job, the Song of Songs and the Proverbs of Solomon seemed to me to be just as valid a testimony to this as the Orphic and Hesiodic songs’ (DuW, 6th book).

This volume aims to analyse Goethe's relationship to philosophy and his impact on philosophy historically and systematically. On the one hand, central philosophical influences and influencers in Goethe’s thinking and work will be examined, including Da Vinci, Spinoza, Leibniz, Hamann, Lichtenberg, Jacobi, Rousseau, Herder, Kant, Hegel, Fichte, Schelling, Schopenhauer, among others. In addition, however, the focus will also be on Goethe’s influence on 19th and 20th century philosophy. In this context, the influence of Goethe on Nietzsche, Kierkegaard, Stirner, Heidegger, Wittgenstein, Cassirer and Adorno will be the focus of the study. Finally, the question arises as to what extent contemporary philosophy can still benefit from Goethe’s thinking today. If, in the history of philosophy, all manifestations of culture were dragged before the judgment seat of reason, today it seems rather the other way around, as if reason, in particular as a result of the harrowing experiences of the last century, is now on trial. Even before critical theory, Heidegger, Foucault and Nietzsche, Goethe, with his organic understanding of the whole human being, had already subtly opposed the enlightened primacy of reason: For him, ‘sensuality and reason, imagination and understanding [...] an exact sensual fantasy’ all have the ‘same rights’ (Goethe, Ernst Stiedenroth Psychologie zur Erklärung der Seelenerscheinungen erster Teil. Berlin 1824, 614).

Abstracts (in German or English) with historically or systematically oriented proposals (max. 500 words) can be sent to the following email addresses by 31 December 2025:

moritzpretzsch@uni-kassel.de

jan.kerkmann@philosophie.uni-freiburg.de

Responses for accepted contributions will be received by 15 January, 2026. Final versions of the contributions (max. 60,000 characters, including spaces, Times New Roman, 1.5 line spacing) should be submitted by 01 July, 2026. The edited volume will be published in winter 2026 by a renowned English publisher, with whom a contract is expected to be signed in spring 2025.

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